Der Pfennigstreit(Uplop) von 1343

Das "Schwurbündnis" von 1345

 

Historische Dokumente aus dem Stadtarchiv (Folge 104) / von Herbert Reyer
Heute wird eine Urkunde vorgestellt, die in der Verfassungsentwicklung der mittelalterlichen Stadt Hildesheim einen ganz besonderen Rang einnimmt. Es handelt sich dabei um eine Pergamenturkunde, mit deren Beglaubigung durch die angehängten Siegel die über einige Jahre sich hinziehenden innerstädtischen Streitigkeiten einvernehmlich beigelegt wurden.

 

Dies geschah am 10. Dezember 1345. Die Urkunde wird im Stadtarchiv Hildesheim im
Bestand 1 unter der Nummer 481 b aufbewahrt. Sie misst lediglich ca. 30 cm x ca. 10,5 cm und ist äußerlich deswegen so interessant, weil an ihr mit Hilfe einer Plica (Umbug der Pergamenturkunde am unteren Blattrand, der für besseren Halt sorgte) von ca. 1,3 bis 1,6 cm Stärke nicht weniger als 12 Wachssiegel befestigt wurden.

 

Die Streitigkeiten in der Stadt, die sogar zu offenem Aufruhr („Uplop“) auf dem Marktplatz geführt hatten, können als Hildesheims erste Revolution bezeichnet werden. Sie begannen im Jahre 1343 und sind unter der Bezeichnung „Pfennigstreit“ in die Geschichte Hildesheims eingegangen.

Es ging bei dem Streit – wie so oft – zunächst um’s Geld: Die drei jeweils einander abwechselnden, bis dahin ausschließlich patrizisch besetzten Ratsgremien der Stadt
hatten angesichts des hohen Schuldenstandes beschlossen, eine allgemeine Sondersteuer zur Abtragung dieser Last auszuschreiben. Es sollten zwar die geringer vermögenden Bürger einen abgemilderten Satz zahlen, doch dies konnte den allgemein herrschenden Unmut nicht mehr bremsen.

Mit dem Widerstand gegen die Sondersteuer vermischte sich der schon länger
aufgestaute Unwille gegen das von den wenigen patrizischen Familien beherrschte
Stadtregiment.

 

Ähnliches kennt man um die Mitte des 14. Jahrhunderts auch in vielen anderen Städten: Die selbstbewussten, vielfach nicht weniger finanzstarken Angehörigen der Handwerkergilden wollen nicht länger die Dominanz der alten Ratsgeschlechter, zumeist Kaufleute und Tuchhändler, erdulden und drängen nun selbst nach Beteiligung am Stadtregiment.

So auch in Hildesheim: In offenem Aufruhr kam es im Mai/Juni 1343 zur Absetzung des alten Rates.

 

Dies geschah durch eine Sechserkommission, deren Mitglieder durch Wahl innerhalb der sechs „Bäuerschaften“ der Stadt bestimmt wurden und damit die „Meinheit“ der Stadt, also alle nicht in den Gilden organisierten Bürger Hildesheims repräsentierten. Die Kommission setzte einen interimistisch regierenden Rat ein, doch die Streitigkeiten und damit die unklaren Regierungsverhältnisse setzten sich fort.

 

Nach rund zwei Jahren der Rechtsunsicherheit und inneren Zerstrittenheit handelten die beteiligten Gruppen im Rathaus einen Kompromiss aus und verabredeten ein
„Schwurbündnis“, das die Stadtverfassung neu ordnete. Erstmals wurde seither den Zünften eine Mitwirkung am Stadtregiment zugestanden. Die vorliegende Urkunde vom 10. Dezember 1345 beendete feierlich den „Pfennigstreit“. Sie dokumentiert den ausgehandelten Verfassungswandel, dessen Grundzüge einen Tag später in einer Urkunde noch genauer formuliert wurden, bereits deutlich sichtbar anhand der vielen angehängten Siegel.

Neben dem links als erstes angehängten großen Stadtsiegel wird die Urkunde durch insgesamt 11 weitere Siegel der beteiligten Hildesheimer Zünfte beglaubigt.

Die leicht beschädigten, aber mittlerweile durch vorsichtige Restaurierungsmaßnahmen gesicherten Siegel repräsentieren in der Reihenfolge ihrer inneren Rangordnung in der Stadt folgende Handwerkszünfte: 1. Die
Schuhmacher und Gerber; 2. und 3. die beiden Hildesheimer Knochenhauerämter am kleinen (am Andreaskirchhof) bzw. am großen Markt; 4. die Bäcker; 5. die Kramer, 6. die Gewandschneider; 7. die Tuchmacher; 8. die Pelzmacher; 9. die offenbar geringer
angesehenen Knochenhauer „an den Steinen“ (nahe der Martinikirche); 10. die Schmiede und als letztes schließlich 11. die Weber.

 

Die Stadtverfassung sah künftig wie schon zuvor auch 3 Ratsgremien vor, die sich jährlich einander abwechselten: Den Rat, den Vorrat und den Nachrat, die aus jeweils 12 Personen bestanden. Doch gab es seither eine Quotierung bei den insgesamt 36 Ratsherren: 12 von ihnen sollten künftig aus dem „alten“ Rat, also den patrizischen Ratsfamilien, kommen dürfen, weitere zwölf aus den Ämtern und Gilden und die dritten zwölf aus der „Meinheit“.

 

Es gab also eine Drittelparität. Die alten patrizischen Familien hatten ihr Ratsmonopol verloren, doch erfuhren sie durch die Verfassungsreform gewissermaßen eine ständische Abschließung, die ihr auf Dauer ein Drittel der Ratssitze sicherte. Und die Handwerkszünfte sind ebenfalls auf Dauer im Rat vertreten. Und auch die „Meinheit“, die anfangs noch, wenn auch nur für kurze Zeit, mit ihrer Sechserkommission alle Macht in Händen hatte, war zu einem Drittel am Stadtregiment beteiligt. Diese Verfassungsstruktur hat sich dann fast ein ganzes Jahrhundert lang erhalten, bis es im Zuge neuer innerer Streitigkeiten zu einer weiteren und deutlich komplizierteren Veränderung der Verfassungsverhältnisse in Hildesheim kam.

Pfennigstreit von 1343
Historische Dokumente aus dem Stadtarchiv (Folge 104) / von Herbert Reyer
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