Die Bezeichnung Esskultur des Mittelalters beschreibt die Ernährungsgewohnheiten, die für Europa in einem Zeitraum von etwa dem 5. Jahrhundert bis zum Ende des 15. Jahrhunderts charakteristisch waren.
Innerhalb dieses Zeitraums vollzog sich ein erheblicher Wandel.
Technische Verbesserungen an Mühlen und Keltern, die Klimaerwärmung in der Übergangsphase vom Früh- zum Hochmittelalter[1], die zunehmende Verbreitung der Dreifelderwirtschaft, der Kulturaustausch mit dem Orient durch die Kreuzzugsbewegung, eine zunehmend bessere Infrastruktur und die Intensivierung des Fernhandels verbreiterte und verbesserte bis zum 14. Jahrhundert das Nahrungsangebot und veränderte die Ernährungsgewohnheiten. Mangel und schwere Hungersnöte waren trotzdem eine immer wiederkehrende Erfahrung.
Eine Veränderung in den Ernährungsgewohnheiten bewirkte auch die Pest, die Europa ab Mitte des 14. Jahrhunderts heimsuchte: In Folge der epidemiebedingten europaweiten Bevölkerungsverluste, die regional bis zu 30 Prozent betrugen, verlor Getreide allmählich an Bedeutung und Fleisch wurde zum Hauptkalorienlieferanten.
Getreidebreie und -grützen zählten das gesamte Mittelalter hindurch in allen Schichten zu den Grundnahrungsmitteln.
Brot war im 10. Jahrhundert selbst in vornehmen Klöstern ein nicht alltägliches Nahrungsmittel, während es im 13. Jahrhundert auch in ärmeren Bevölkerungsschichten täglich gegessen wurde.
Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich beim Wein.
Wild spielte in der mittelalterlichen Ernährung nur eine geringe Rolle. Hausschwein und Haushuhn waren die wichtigsten Fleischlieferanten.
Getrockneter Kabeljau und gesalzener Hering gehörten ab dem 10. Jahrhundert zu den europaweit gehandelten Lebensmitteln, daneben wurde eine große Vielzahl unterschiedlicher Arten von Süß- und Salzwasserfischen gegessen.
Zu den häufig verwendeten Würzmitteln zählten Verjus, Wein und Essig.
Diese gaben gemeinsam mit der weit verbreiteten Verwendung von Honig vielen Gerichten einen süß-säuerlichen Geschmack.
Pfeffer, Muskatnuss, Safran und andere importierte Gewürze wurden in geringen Mengen gehandelt und überwiegend in wohlhabenden Haushalten verwendet. Erhalten gebliebene ausführliche Rezeptsammlungen legen nahe, dass im Spätmittelalter eine signifikante Weiterentwicklung der Kochfertigkeiten stattfand.
Neue Zubereitungsmethoden wie Mürbteigkuchen, das Klären von Brühen mit Eiweiß tauchen das erste Mal in Rezepten des späten 14. Jahrhunderts auf. Rezepte enthielten auch zunehmend Hinweise zur Zubereitungsweise und waren nicht länger eine einfache Aufzählung der Zutaten.
Im frühen Mittelalter bestand eine soziale Differenzierung der Ernährungsgewohnheiten in erster Linie in der Menge der konsumierten Lebensmittel und weniger in ihrer Qualität.
Im Verlauf des Mittelalters markierten zunehmend die Konventionen um Essen und Trinken die sozialen Barrieren.
In vielen Städten legten beispielsweise Regeln fest, welche Speisen Dienstboten, Gesellen, Meistern und Handelsherren zustanden.
Auch die Fleischgerichte, die die städtische Mittel- und Oberschicht verzehrte, wurden deutlich aufwändiger und raffinierter in der Zubereitung.
Zur Erfassung dieser sozialen Dimension von Ernährungsgewohnheiten wird mitunter hilfsweise zwischen einer Esskultur des Adels, Klerus und der Stadt- und Landbevölkerung unterschieden.
Diese Unterscheidung ist problembehaftet, weil die Übergänge zwischen diesen Schichten fließend waren.
Für die Ernährungsgewohnheiten eines einzelnen mittelalterlichen Menschen waren sein individueller Wohlstand sowie die Einbindung seines Lebensortes in den Fernhandel ausschlaggebender als eine Zuordnung seiner Person zu einer dieser vier Gruppen.
Das heutige Wissen um die mittelalterliche Esskultur stammt zu einem großen Teil aus schriftlichen Quellen wie Abgabenordnungen, Zollrollen, Berichten von Krönungs- und Zunftfeierlichkeiten, philosophischen Schriften und für das Ende des Mittelalters auch zunehmend aus Kochbüchern.
Diese Quellen sind häufig unvollständig und einseitig, weil sie besondere Ereignisse und die Lebensweise der Oberschicht übergewichten. Wichtige Ergänzung sind deshalb die Ausgrabungen mittelalterlicher Siedlungen, die ein vollständigeres und häufig anderes Bild als die schriftlichen Quellen vermitteln.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Esskultur_des_Mittelalters#Gew.C3.BCrze_und_K.C3.BCchenkr.C3.A4uter
Er mokierte sich auch nicht wie seine Brüder über den täglich gereichten Brei.
Dieser Brei war ein Tribut des Vaters an vergangene Zeiten. Eigentlich hätten sie statt Brei etwas mehr Fleisch auftischen können, aber der Brei gemahnte an jene schlechten Jahre, in denen die Familie in die unteren Schichten abzurutschen drohte, damals, als das unglückselige Papier erfunden wurde ..."
Der Satiriker Helbling lässt es sich nicht nehmen, die Bauern, die von einer Herrenspeise naschen, mit einem katastrophalen Unwetter zu vergleichen:
"Den Bauern bestimmt man zur Speise
Fleisch und Kraut und Gerstenbrei;
ohne Wilbret sollten sie sein,
am Fasttag Hanf, Linsen und Bohnen;
Frisch in Öl sollten sie schon die Herren essen lassen,
das war so Brauch.
Nun essen sie mit den Herren
alles, was man Gutes finden kann.
Das ist für das Land ein Hagelschlag."
(VIII, 880-888)
Gewürze, Zucker, Süßwaren und Salz
Gewürze und Küchenkräuter
Gewürze zählten zu den kostbarsten Gütern, die ein mittelalterlicher Haushalt für seinen Gebrauch erwarb. Gewürze wie Pfeffer, Zimt, Muskat, Gewürznelken und Ingwer waren allein wegen ihrer langen Transportwege teuer und wurden gewöhnlich nur in wohlhabenden Haushalten verwendet.
Pfeffer war unter den verwendeten, von anderen Kontinenten importierten Gewürzen das wichtigste.
Nach modernen Schätzungen wurden im Spätmittelalter jährlich etwa 1.000 Tonnen Pfeffer und die gleiche Menge an anderen Gewürzen nach Westeuropa eingeführt.
Der Gegenwert dieser Importe entsprach dem des Jahresbedarfs an Getreide für 1,5 Millionen Menschen.
Safran nimmt unter den wichtigen mittelalterlichen Gewürzen eine Sonderrolle ein.
Das Gewürz, von dem im Mittelalter ein Pfund dem Gegenwert eines Pferdes entsprach, zählte zu den Luxusprodukten, die innerhalb Europas angebaut und nicht aus Asien oder Afrika importiert wurden wie dies für andere, besonders kostbare Gewürze der Fall war.
Safran wurde bereits in der Zeit des römischen Reiches in vielen Mittelmeerländern angebaut. In Mitteleuropa setzte es sich als Färbemittel für Speisen und Gewürz erst nach dem kulturellen Austausch mit dem arabischen Raum in Folge der Kreuzzugsbewegung durch und wurde dann auch in Mitteleuropa angebaut.
Andere Gewürze wie die verschiedenen Senfarten, Salbei, Petersilie, Dill, Kümmel, Minze, Fenchel und Anis, die allesamt im europäischen Raum angebaut wurden, waren erheblich preisgünstiger und spielten schichtenunabhängig eine große Rolle bei der Zubereitung von Mahlzeiten.
Eine Reihe von im Mittelalter genutzten Gewürzen und Kräutern finden heute vergleichsweise selten in der europäischen Küche Verwendung.
Dazu zählen die in Europa wachsenden Gewürzpflanzen Alant, Bärwurz, Beifuß, Bockshornklee, Eberraute, Engelwurz, Kalmus, Knoblauchrauke, Rainfarn, Schabzigerklee und Weinraute sowie die importierten Gewürze Kubebenpfeffer, Macis, Narde, Paradieskörner und Langer Pfeffer.
Nach wie vor ist gelegentlich zu lesen, dass mittelalterliche Köche und Köchinnen Gewürze wie Pfeffer reichlich verwendeten, damit sie den unangenehmen Geschmack verdorbenen Fleisches oder Fisches überdeckten.
Die meisten Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte der Ernährung beschäftigen, teilen diese Meinung nicht mehr.
Eine großzügige Verwendung von teuren, importierten Gewürzen war aus finanziellen Gründen sehr wohlhabenden Haushalten vorbehalten, denen eine große Auswahl an Fleisch und Fisch in guter Qualität zur Verfügung stand.
Die Verwendung teurer Gewürze, um den Geschmack verdorbenen Fleischs oder Fischs zu übertünchen, das im Vergleich dazu preisgünstig war, wäre ökonomisch unsinnig gewesen. Inventarlisten mittelalterlicher Haushalte führen zwar regelmäßig große Mengen an Gewürzen auf.
So finden sich beispielsweise in den Vorratskammern der französischen Königswitwe Jeanne d’Évreux sechs Pfund Pfeffer, 13,5 Pfund Zimt, fünf Pfund Paradieskörner, 3,5 Pfund Muskatnüsse, 1,25 Pfund Safran, ein halbes Pfund Langer Pfeffer, etwas Muskatblüte und 23,5 Pfund Ingwer aufbewahrt und der Haushalt von Humphrey Stafford, Herzog von Buckingham, verbrauchte zu Beginn des 15. Jahrhunderts nicht weniger als zwei Pfund Gewürze pro Tag.
Diese Angaben beziehen sich aber auf Haushalte, die täglich hunderte von Personen verköstigten. Terence Scully, der sich intensiv mit mittelalterlichen Rezepten beschäftigt hat, stellt eher einen sparsamen und bewussten Umgang mit Gewürzen fest.
Den wesentlichen Unterschied zu heutigen europäischen Würzgewohnheiten sieht er im reichlichen Gebrauch von Safran und der Verwendung von Zucker in herzhaften Speisen.
Kaninchen in Sauce, mit Zucker bestreut oder Hackfleisch, das neben Ingwer und Muskatnuss mit Zucker vermischt und dann mit fein gehackten Zwiebeln serviert wird, wirken im Vergleich zur heutigen europäischen Küche befremdlich. Tim Richardson weist in seiner Geschichte der Süßwaren darauf hin, dass sich ähnliche Gerichte auch auf der Speisekarte eines heutigen libanesischen Restaurant finden ließen.
Honig, Zucker, Süßwaren und Nachspeisen
Honig war neben der natürlichen Fruchtsüße von Obst das wichtigste mittelalterliche Süßungsmittel.
Die heute verbreitete Haltungsform von Bienen in Magazinbeuten, die eine Entnahme von Bienenwaben ermöglicht, ohne dabei das Bienenvolk nachhaltig zu schädigen, ist eine neuzeitliche Entwicklung.
Mittelalterliche Imker, die ihre Völker unter anderem in Weidekörben und Baumstämmen hielten, mussten bei der Honigernte regelmäßig den Verlust des Volkes in Kauf nehmen.
Honig blieb auch deswegen teuer. Wichtiges Beiprodukt der Honigproduktion war Bienenwachs, das häufig wertvoller als der geerntete Honig war.
Gegen Ende des Mittelalters verlor Honig zumindest in einzelnen Regionen Europas seine Rolle als wichtigstes Süßungsmittel.
Terence Scully ist in seiner Analyse der mittelalterlichen Küche Nordfrankreichs zu dem Ergebnis gekommen, dass in dieser Region Honig bereits im 14. Jahrhundert nicht mehr in der Küche verwendet wurde.
Wichtigstes Süßungsmittel war ein Sirup auf Weinbasis und zunehmend gebräuchlicher wurde die Verwendung von Zucker. Bereits Chiquart, ein Koch des 15. Jahrhunderts, verwendete in mehr als der Hälfte seiner Rezepte Zucker.
Araber verbreiteten den Zuckerrohranbau bereits im frühen Mittelalter im gesamten Mittelmeerraum.
Wichtige Gebiete für den Anbau von Zuckerrohr waren beispielsweise Toledo, Zypern und Sizilien.
In Venedig wurde bereits im Jahre 996 ein Lagerhaus errichtet, in dem ausschließlich Zucker aufbewahrt wurde.
Zucker gehörte während des Mittelalters zu den Gütern, die man beim Apotheker kaufte. Er war anfangs so teuer, dass nur Wohlhabende ihn sich leisten konnten.
Sein Preis verfiel ab dem 14. Jahrhundert, so dass sich breitere Schichten den Erwerb von Zucker erlauben konnten.
Zu den frühen Süßwaren, die im mittelalterlichen Europa verzehrt wurden, gehörten in Zucker kandierte Früchte, Zitrusschalen und Blüten, mit Zuckerguss überzogene Gewürzsamen – sogenannte „Comfits“ – sowie Pastillen und Marzipan, die zunächst aus dem arabischen Raum importiert wurden. Handwerker, die sich auf die Herstellung solcher Süßwaren spezialisierten, sind erstmals für Venedig im Jahre 1150 belegt. Genua etablierte sich wenig später als ein Ort, in dem besonders hochwertige Früchtegelees hergestellt wurden.
Ähnlich wie bei Gewürzen erwarben wohlhabende Haushalte gelegentlich große Mengen solcher Süßwaren.
Zum Proviant des Herzogs Edward von Guelders, der 1369 zu einem Feldzug in Preußen aufbrach, zählten 46 Pfund Süßwaren, darunter kandierter Ingwer, Pinienkonfekt und 10 Pfund Früchtegelee.
Zu den ungewöhnlicheren mittelalterlichen Süßwaren zählt manus christi („Hand Christi“), der man Heilwirkung nachsagte. Nach den überlieferten Rezepturen handelte es sich dabei meist um eine Stange gekochten Zuckers, die mit Veilchen, Zimt oder Rosenwasser gewürzt war. Häufig enthielten diese bonbonähnlichen Stangen auch Blattgold.
Nach anderen Rezepturen ist es ein Sirup und nach einem Pariser Rezept des späten 14. Jahrhunderts eine Art Marzipan. Allen Rezepturen gemeinsam ist die Verwendung von Kristallzucker.
Süßwaren wie Pastillen, Marzipan, Comfits, kandierte Früchte oder Früchtegelees wurden häufig am Ende eines Mahles serviert. Die mittelalterliche Küche kannte als Nachspeise außerdem frittiertes Fettgebäck, Waffeln, puddingähnliche Eiercreme und Gebäck, das mit einer Mischung aus Mandelmilch und Eiern gefüllt wurde.
Letzteres wurde mit Früchten, gelegentlich auch Knochenmark oder Fisch angereichert.
Auch gewürzter Wein, begleitet von Käse, oder Käse und Butter wie bei den oben angeführten Feiern Osnabrücker Gildegemeinschaften beendeten häufig eine festliche Mahlzeit.
Deutscher Name | Lateinischer Name | Herkunftsort | Nachweis seit |
Anis | Pimpinella anisum | Östl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Balsamkraut | Chrysanthemum balsamita | SW-Asien | 9. Jh. (R) |
Basilikum | Ocimum basilicum | Nordafrika | 12. Jh. (R ) |
Beifuß | Artemisia vulgaris | Eurasien | 12. Jh. |
Bockshornklee | Trigonella foenum graecum | Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Bohnenkraut | Satureja hortensis | Östl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Dill | Anethum graveolens | Östl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Dost | Origanum vulgare | Eurasien | 12. Jh. (R ) |
Eberraute | Artemisa abrotanum | Östl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Fenchel | Foeniculum vulgare | Westl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Gartenkresse | Lepidium sativum | Westl. Asien | 9. Jh. (R) |
Gurkenkraut | Borago officinalis | Westl. Mittelmeergebiet | 13. Jh. |
Kerbel | Anthriscus cerefolium | Östl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Knoblauch | Allium sativum | Westl. Asien | 9. Jh. (R) |
Koriander | Coriandrum sativum | Östl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Kreuzkümmel | Cuminum cyminum | Asien | 9. Jh. (R) |
Kümmel | Carum carvi | Europa | 9. Jh. (N) |
Liebstöckel, Maggikraut | Levisticum officinale | Süd-Iran | 9. Jh. |
Majoran | Origanum majorana | Östl. Mittelmeergebiet | 12. Jh. (R) |
Meerrettich, Kren | Armoracia rusticana | Eurasien | 12. Jh. |
Muskateller Salbei | Salvia sclarea | Mittelmeergebiet | 9. Jh. |
Petersilie | Petroselium hortense | Mittelmeergebiet | 9. Jh. (N) |
Polei-Minze | Mentha pulegium | Europa | 9. Jh. |
Safran | Crocus sativus | Östl. Mittelmeergebiet | 13. Jh. (R) |
Salbei | Salvia officinalis | Mittelmeergebiet | 9. Jh. |
Sauer-Ampfer | Rumex acetosa | Eurasien | 12. Jh. |
Schalotte | Allium ascalonicum | Vorderer Orient | 9. Jh. |
Schnittlauch | Allium schoenoprasum | Eurasien | 9. Jh. (R) |
Schwarzer Senf | Brassica nigra | Mittelmeergebiet | 12. Jh. (R) |
Schwarzkümmel | Nigella sativa | Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Süßdolde | Myrrhis odorata | Europa | 16. Jh. |
Thymian | Thymus vulgaris | Westl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Weinraute | Ruta graveolens | Östl. Mittelmeergebiet | 9. Jh. (R) |
Wermut | Artemisia absinthium | Eurasien | 9. Jh. |
Ysop | Hyssopus officinalis | Eurasien | 12. Jh. |
Zitronen-Melisse | Melissa officinalis | Östl. Mittelmeergebiet | 12. Jh. (R) |
Zwiebel | Allium cepa | West-Asien | 9. Jh. (R) |
Quelle:
Der Garten von der Antike bis zum Mittelalter
M. Carrol-Spillecke u.a.
Verl.: Philipp von Zabern (1992)
ISBN: 3-8053-1355-1
Verbot macht erfinderisch. Im Mittelalter war ein Drittel des Jahres strenge Fastenzeit. Historische Rezepte zeugen davon, wie man die strengen Regeln zu umgehen wusste
So alt der Glaube, so alt ist auch die Bevormundung – und in wenige Bereiche mischt sich Religion so rigoros ein wie in die Nahrungsaufnahme. Finger weg von heiligen Kühen (Hinduismus)! Sind die Gummibärchen auch halal (Islam)?
Keine Sahnesoße zum Braten (Judentum)! Glauben und essen, das bedeutete von jeher: auf Ausnahmen achten.
Das 1. Buch Mose empfahl den Menschen zwar »alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten« zur Nahrung (Genesis 1,29–30). Doch der Sonderfall folgte auf dem Fuß: Bloß kein Erkenntnisobst naschen (Genesis 3,1–24)!
Wie die Geschichte weiterging, ist als Mahnung allgegenwärtig: Jede kulinarische Verfehlung kann gravierende Konsequenzen haben. Einmal kraftvoll zugebissen, auf ewig aus Eden verstoßen – in eine Welt hinein, in der falsches Essen ebenfalls zu Scherereien führt.
Das Christentum brachte im Laufe seiner Geschichte viele kulinarische Verbote hervor, auch wenn diese im Vergleich zu denen der anderen Weltreligionen weniger kompliziert erscheinen mögen. Und Verbot macht erfinderisch. Es spornte Köche an, im Rahmen der Regeln das Leckerste herauszuholen oder die Grenzen der Norm geschickt zu dehnen. So wurde die Kirche selbst zum Koch, vor allem durch jene umfangreichen Fastenregeln, die sie ab Mitte des ersten Jahrtausends entwickelte und immer weiter elaborierte.
Mit dem noch heute bekannten Fasten vor Ostern fing es an. »Während der 40-tägigen Fastenzeit ist es verboten, das Fleisch von warmblütigen Tieren zu essen«, hatte Papst Gregor im Jahr 590 verkündet. Seine Nachfolger eiferten ihm nach. Bis Ende des 15.Jahrhunderts waren Butter, Milch, Käse und Eier ebenfalls tabu.
Und auch zeitlich wurde der Verzicht stetig ausgeweitet. Für Menschen des Mittelalters galten, so haben Historiker rekonstruiert, bis zu 130 Fastentage – ein Drittel des Jahres bestimmte die Kirche, was auf den Tisch kam.
Viele fleischfreie Delikatessen wurden aus dieser Not geboren, genauso wie delikate Schummeleien. Zahlreiche Einblicke in die Esskultur des Mittelalters sind in Form von Rezepten, Kochbüchern, Bestellscheinen und Rechnungen aus Klosterküchen überliefert. Sie dokumentieren, dass immer wieder die Frage aufgetaucht sein muss, ob nicht doch ein wenig Tier in den Topf dürfe. Wenigstens ein ganz kleines?
Der Appetit war der Vater des Gedanken, die Bibelauslegung sein Werkzeug. So schwang sich etwa im 9. Jahrhundert der Fuldaer Abt Hrabanus Maurus zu folgender Exegese auf: Gott habe Fische und Vögel am selben Tag erschaffen, und zwar aus dem Wasser. Folglich dürfe ein Suppenhuhn »wie alle anderen Schöpfungen des Meeres« in der Fastenzeit verspeist werden. Noch spitzfindiger klingt der Versuch, Ringelgänse aus dem Fleischlichen herauszudefinieren. Sie seien pflanzlicher Natur, weil sie aus Holz und Algen entstünden.
Und vegetarisch ging ja immer. Erst Papst Innozenz III. schob dieser Form von Zoobotanik 1215 einen Riegel vor.
Welche Breitenwirkung definitorische Trickserei auf die mittelalterlichen Speisekarten hatte, zeigt das Beispiel des Bibers. Dieses Nagetier, dessen zartes weißes Fleisch in ganz Mitteleuropa geschätzt wurde, erklärte ein eloquenter Abt kurzerhand zum Fisch: Das Tier habe einen schuppigen Schwanz – und sei deshalb als Fastenspeise geeignet.
Das führte dazu, dass Biber in vielen Landstrichen durch intensive Jagd ausgerottet wurden. Noch heute kündet eine Fülle von Biberrezepten in alten
Klosterkochbüchern von der Popularität des von der Geistlichkeit als fastentauglich erklärten Fleischgenusses. Kurzerhand bei den Fischspeisen eingemeindet hatte das Konzil von Konstanz (1414 bis 1418) auch den Otter sowie den Dachs. Fische mit Fell und Füßen – wer wird schon so kleinlich sein?
Fand sich wirklich gar kein definitorischer Dreh, half man mit Dekor nach: So ist überliefert, dass Klosterköche Rehrücken vor dem Braten einfach in Fischform brachten. Statt – carne vale – dem Fleisch nach Karneval Lebewohl zu sagen, ließen sich die Küchenchefs zu kryptokarnivorischer Kost inspirieren. Begossen wurde diese mit besonders nahrhaftem Bier, denn liquidum non frangit ieiunium: Flüssiges bricht Fasten nicht.
Auch in der Adventszeit galt einst das Fastengebot und brachte ein karges Gebäck hervor, den Stollen, der – so freudlos wollte es der Klerus – bloß aus Mehl, Hefe, Öl und Wasser bestand. Mitte des 15. Jahrhunderts lobbyierten Sachsens Kurfürsten bei Papst Nikolaus V., er möge Butter zulassen, Rosinen und Mandeln gleich dazu. Argumentiert wurde nicht mit Sinnesfreuden, sondern mit der Fähigkeit der beiden letzteren Ingredienzien, Fieber zu senken und den »Wolfsbiss« zu heilen. Noch vier weitere Päpste mussten die Sachsen beknien, bis Innozenz VIII. schließlich 1491 nachgab und aus dem Stollen eine Spezialität werden konnte. Diesen Verbotshandel ließ er sich freilich gut bezahlen: Ein »Buttergeld« wurde fällig, das dem Kirchenbau zufloss.
Noch wichtiger für die Entwicklung der Backkunst dürfte eine Ausnahme gewesen sein, die heutigen säkularen Fastenauffassungen gänzlich widerspricht: 1569 gab Papst Pius V. der Schokolade als Fastenspeise seinen Segen, nachdem ein gewisser Bruder Girolamo di San Vincenzo ihn bei einer Audienz davon hatte kosten lassen. Angewidert soll der Papst gewesen sein von jenem neuweltlichen Zeug.
Und nur was begehrenswert erschien, war es ja überhaupt wert, verboten zu werden. Ein Trick des Bruders? Immerhin, es war bekannt, dass Pius auf Saures stand.
Die berühmteste Gericht gewordene Schummelei ist sicher die schwäbische Maultasche, die einer Legende nach im Zisterzienserkloster Maulbronn bei Bretten erfunden worden ist: von Mönchen, die mitten in der Fastenzeit ein herrliches Stück Fleisch ergatterten. Was tun? Klein gehackt, mit Kräutern gemischt und in einen Teigmantel eingeschlagen, wurde die Fleisch- als Mehlspeise getarnt. Bis heute heißt sie im Volksmund »Herrgottsb’scheißerle«.
Dieser Artikel stammt aus dem ersten ZEIT-Spezial "Richtig essen", das der ZEIT Nr. 21 beiliegt. Den zweiten Teil finden Sie in der ZEIT Nr. 22 vom 27.5.2010.
https://www80.sevenval-fit.com/zeit/2010/21/E-Mittelalter-Historische-Rezepte