Im "finsteren Mittelalter"...
Kaum ein Wort wird so oft in diffamierender Weise verwendet wie "mittelalterlich". Es ist zum alltäglichen Synonym geworden für alles was alt und schlecht ist, für Gewalt u. Skrupellosigkeit,
Rechtslosigkeit u. Willkür, Ausbeutung u. Unterdrückung, für Rückständigkeit, Unbildung, Intoleranz u. Ignoranz...
Ob es um renitente Stammesfürsten in Afghanistan, die "Hexenjagd" auf Abtreibungsbefürworter oder einfach nur den Abschied von einer alten Technologie geht, immer wieder muss das "Mittelalter"
herhalten, um alles was uns böse, schlecht, rückständig erscheint zu beschreiben.
Da wird der 30-jährige Krieg (1618-48) von Journalisten mal eben schnell in das Mittelalter verlegt - weil er ja so unvorstellbar grausam war, dass er schlecht in das Bild der Neuzeit passt -
ebenso wenig wie die "Hexenverfolgungen". Auch der massenweise u. selbstverständliche Einsatz von Folter u. Hinrichtungen im 18. Jh. passt nicht so recht in das Bild, was wir vom Zeitalter der
Aufklärung haben...Mittelalter? Endet das Mittelalter erst 1945? Damit hätten wir Deutschen eine schlüssige Erklärung für das Unerklärliche davor - und eine Verantwortung weniger!
1981 kam im Rahmen eines Modellprojektes das von Kölner Bühnenkünstlern geschriebene Stück "Frauen im Mittelalter" zur Aufführung. Der Inhalt ist schnell wiedergegeben: Das Mittelalter als
"Höhepunkt an Unterdrückung in der Geschichte der Frauen, bösartige Grundherren prellen brave Bauern um den Ertrag ihrer Arbeit und haben sonst nur ihr Recht der ersten Nacht im Kopf, sadistische
Priester sind auf Hexenjagd und wollen das Volk dümmer machen als sie selbst sind". Am befremdlichsten jedoch war die Intention, mit der die Künstler nach eigenem Bekunden antraten: "Licht in die
mittelalterliche Finsternis zu bringen"!1
Seither gab es im Gefolge der "Wiederentdeckung des Mittelalters" eine wahre Flut an guten, populärwissenschaftlichen Publikationen (Reihe C.H. Beck) u. respektablen Mittelalterromanen u. die
Begeisterung für "das Mittelalter" ist ungebrochen.
Doch was hat es gebracht? Hat sich irgendetwas an der Wahrnehmung des Mittelalters, an dem Wissen über diese Epoche geändert?
Mythen – Monster - Mittelalter
Es gibt keine Epoche in der Geschichte, die nach wie vor so missverstanden u. -interpretiert, von Falschinformationen u. Vorurteilen so belastet u. verfälscht ist wie das „Mittelalter“. Obwohl
die Mediävistik zu den ältesten Disziplinen der Geschichtsforschung gehört scheint das Allgemein- und Schulwissen über diese Epoche auf dem Stand des 19. Jh. zu stagnieren. Beharrlich halten sich
schon lange widerlegte Behauptungen, alte und moderne Mythen u. manches wird sogar "neu" erfunden.
Hauptverantwortlich dafür sind zum einen veraltete Lehrpläne und mangelhafte Ausbildung der Geschichtslehrer sowie eklatante Bildungsdefizite der Publizisten.
Zum zweiten tragen TV-Dokumentationen, in denen die Grenzen zwischen „History“ u. „Mystery“ verschwimmen, Fantasy-Opern im Kino, eine nicht abreissende Welle an mittelmäßigen „Mittelalterromane“
sowie die leidlichen „Mittelaltermärkte und -spektakel“ maßgeblich dazu bei, dass sich Irrtümer und Vorurteile nicht nur halten sondern sogar potenzieren u. durch das Internet eine bis dato nicht
dagewesene Verbreitung finden.
Kein „Mittelaltermarkt“ ohne marktschreierische Ablasshändler, sadistische "Inquisitoren“ auf "Hexenjagd", „Ritter“ die - wenn sie sich nicht gerade fortwährend prügeln - "Leibeigene" als
„Sklaven" zum Verkauf anbieten u. schmierige Priester, die von der Erdscheibe faseln u. den Besuchern das "ewige" Fegefeuer versprechen....jeder Kleriker ein Inquisitor, jeder Edelmann ein Ritter
u. die Kirche unfehlbar...
Unbildung u. Ignoranz, "wie im Mittelalter"...
Die Moderne erfindet sich ihr Mittelalter - oder wie aus der „mittelalterlichen Erdkugel“ eine „neuzeitliche Erdscheibe“ wurde
Klassiker des „Allgemeinwissens“ über das Mittelalter sind die Vorstellung der Erde als Scheibe - laut Historical Society of Britain der verbreitetste historische Irrtum - gefolgt von der
Verortung der Hexenverfolgung im Mittelalter sowie die Vorstellungen, (fast) alle Menschen hätten unfrei in Dreck, Unwissenheit u. Hunger ein armseliges u. kurzes Dasein gefristet, „Kirche“ u.
Inquisition haben eine Art „Weltdiktatur“ ausgeübt u. erst mit der Entdeckung Amerikas hätte Cristobal Columbus „den Lichtschalter“ dort gefunden u. das „finstere Mittelalter“ beendet.
Mit diesen u. anderen Vorstellungen u. Fragen werden wir auf unseren Veranstaltungen immer wieder konfrontiert. In unserem kleinen „Mittelalterlexikon der populären Irrtümer“ möchten wir deshalb
beispielhaft ein paar erlesene Beispiele aufgreifen und – soweit dies in Lexikonform in der Kürze möglich ist – richtig stellen.
Camille Flammarion, L'Atmosphere, Météorologie Populaire, Paris 1888, S. 63
→ Ablasshandel
→ Amerika
→ Erdscheibe oder -kugel
→ "Deutsche Kaiser" / "Deutsches Reich"
→ Fegefeuer
→ Hexenverfolgung (Hexe, Hexerei)
→ Heiliges Römisches Reich (Deutscher Nation)
→ Inquisition
→ Lebenserwartung
→ Leibeigenschaft
→ Ritter, -tum (Adel)
→ Stadtluft macht Frei
→ Unfehlbarkeit
Quelle: http://www.tohopesate.de/cms/front_content.php?idcat=19